Chronik 1871 - Das Deutsche Reich, Pariser Kommune, Heinrich Schliemanns Troja

In Deutschland und in Österreich war die Zeit der Gründerjahre angebrochen, wie sie im Nachhinein genannt wurde. Sie markierte den Beginn eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Mit der Gründung des Deutschen Reiches nach dem Sieg Preußens im Deutsch-Französischen Krieg war in Europa eine neue Großmacht entstanden. Die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches fand im Spiegelsaal von Versailles statt. Wilhelm I. (1797-1888) wurde Deutscher Kaiser. Otto von Bismarck (1815-1898) schloss im Februar mit seinem französischen Amtskollegen Adolphe Thiers (1797-1877) den Vorfrieden von Versailles. Der endgültige Frieden wurde einige Wochen später im „Frieden von Frankfurt“ geschlossen. Nach der Gründung des Deutschen Reiches wurden im März bei der Wahl zum ersten Deutschen Reichstag die Nationalliberalen die stärkste Fraktion. Als der erste Reichstag eröffnet wurde, thronte Kaiser Wilhelm I. mehr als standesgemäß, denn man hatte ihm aus Goslar den Kaiserstuhl Heinrichs III. (1017-1056) herangeschafft. Auf diesem ersten Reichstag wurde Otto von Bismarck zum Reichskanzler erhoben und zudem in den Fürstenstand versetzt. Seine Reichsverfassung wurde als zur Rechtsgrundlage für das deutsche Kaiserreich. Zum Ende des Jahres erließ der deutsche Kaiser das Gesetz über das Bilden eines Reichkriegsschatzes aus den französischen Kontributionen, die der „Friede von Frankfurt“ dem Verlierer des Deutsch-Französischen Krieges abverlangt hatte. Während die deutsche Reichsgründung eine Folge des Krieges gewesen war, gab es in Frankreich eine ganz andere Reaktion. Dort fand im März 1871 die erste sozialistische Revolution in Frankreich statt, die Pariser Kommune. Der Aufstand dauerte 72 Tage. Er wurde im Mai, als Regierungstruppen in die Pariser Innenstadt vordrangen, niedergeschlagen. Das „Nationalkomitee der Nationalgarde“, das sich mit der Pariser Bevölkerung verbunden hatte – deshalb Pariser Kommune – hatte nach dem Deutsch-Französischen Krieg die Waffenstillstandsbedingungen abgelehnt. Sechs Wochen lang wurde Paris beschossen. Der Aufstand der Pariser Kommune endete mit der „Blutwoche“, die vom 21. bis zum 28. Mai andauerte und in der bei den Kämpfen mit den sich anschließenden Massenexekutionen bis zu 30.000 Menschen ihr Leben verloren. Von den führenden Aktivisten wurden zudem 147 an der Mauer des Friedhofs „Père Lachaise“ erschossen. Das Jahr 1871 ist auch besonders mit dem Namen eines deutschen Kaufmanns und Pionier der Feldarchäologie verbunden – Heinrich Schliemann (1822-1890). Schliemann, der in der Nähe von Athen wohnte, hatte im Frühjahr des Vorjahrs noch keine Grabungserlaubnis von der türkischen Regierung bekommen. Dennoch war er mit seinen Hilfsarbeitern erneut nach Troja gefahren und hatte begonnen zu graben. Dabei hatte er schon mehrere Siedlungsschichten gefunden. Zum Ende 1870 war er nach Konstantinopel gereist, wo er den Erhalt der Erlaubnis durch eigene Vorsprache beschleunigen wollte. Ohne Erfolg. Endlich, am 12. August 1871, erreichte ihn in London, wo er Teile für die Grabungsausrüstung einkaufte, der Brief aus Konstantinopel. Die Grabungen waren genehmigt worden. Als Schliemann nach Troja zurückgekommen war, gab es noch einmal Schwierigkeiten. Die lokale Provinzverwaltung erkannte die Erlaubnis nur für den Teil des Hügels Hisarlik an, der dem englischen Auswanderer und Amateurarchäologen Frank Calvert gehörte (1828-1908). Das wiederum verhinderte zunächst einen Gesamtschnitt durch den Hügel, wo Schliemann und Calvert die Ruinen des bronzezeitlichen Troja vermuteten. Wieder musste Schliemann intervenieren, diesmal bei der amerikanischen Botschaft. Am 11. Oktober 1871 konnte er seine Grabungskampagne so beginnen, wie er es geplant hatte. Und tatsächlich brachte er in kurzer Zeit antike, bronze- und steinzeitliche Siedlungsschichten zu Tage. Wegen des hereinbrechenden Winters musste er seine Arbeiten vorübergehend beenden. Sie konnten erst im April 1872 fortgesetzt werden und führten dann aber zu einem der bedeutendsten Funde – der Helios-Metope vom Triglyphenfries des hellenistischen Athena-Tempels, der heute im Alten Museum in Berlin steht und wirklich jeden Besucher zum Staunen bringt. Schliemann machte sich weiter einen großen Namen, als er im Mai 1873 den Schatz des Priamos fand. Als Schliemann Troja für gefunden erklärte, wurden seine Ausgrabungsleistungen zwar von Großbritannien anerkannt und erregten dort großes Aufsehen. In Deutschland jedoch verweigerten ihm die Wissenschaftler eine fachliche Anerkennung. Die Nachwelt anerkannte seine grandiosen Funde dennoch an und der Name Schliemann bleibt mit Troja verbunden.
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Ereignisse & Schlagzeilen 1871
Im Januar
Gründung des Unternehmens Continental in Hannover unter dem Namen Continental-Caoutchouc- & Gutta-Percha Compagnie
Die Gymnasial-Kapelle zu Gütersloh wird gegründet
1. Januar

Inkrafttreten der Novemberverträge
3. Januar
Henry Bradley erhält ein US-Patent zur Herstellung von Margarine.
Die Schlacht bei Bapaume im Deutsch-Französischen Krieg endet unentschieden. Die französische Armée de Nord zieht sich am Abend zurück.
9. Januar
Nach der Schlacht bei Bapaume einige Tage zuvor kapitulieren im Deutsch-Französischen Krieg die Verteidiger der von den Deutschen belagerten Festung Péronne, dem letzten französischen Stützpunkt an der Somme.
12. Januar
Die zweitägige Schlacht bei Le Mans im Deutsch-Französischen Krieg endet mit einem strategischen Sieg des preußischen Heeres. Die französische Loirearmee stellt nach schweren Verlusten keine Bedrohung mehr dar.
15. Januar
Im Deutsch-Französischen Krieg beginnt die Schlacht an der Lisaine.
17. Januar
Die Schlacht an der Lisaine in der Nähe des belagerten Belfort sieht im Deutsch-Französischen Krieg Preußen und seine Verbündeten als Sieger. Minustemperaturen, unzureichende Verpflegung, Widerstand des Gegners und vorsichtiges Vorgehen erschöpfen nach zwei Tagen die starke französische Armee und führen zum Rückzug des von General Charles Denis
18. Januar
König Wilhelm I. von Preußen wird im Spiegelsaal von Versailles zum Kaiser ausgerufen. Das deutsche Reich wird gegründet
19. Januar
In der Schlacht bei Buzenval versuchen im Deutsch-Französischen Krieg die in Paris belagerten französischen Einheiten einen Ausfall in Richtung Versailles. Diese Gegenoffensive scheitert an den preußischen Truppen. Der heranrückenden französischen Nordarmee ergeht es in der Schlacht bei Saint-Quentin am selben Tag nicht besser.
25. Januar
Paris wird beschossen.
26. Januar
Rom wird offiziell zur Hauptstadt des Königreichs Italien bestimmt.
28. Januar
Drohende Lebensmittelknappheit in Paris nach mehrmonatiger Belagerung zwingt die französische Regierung im Deutsch-Französischen Krieg zum Einlenken. In Versailles wird ein zwischen Otto von Bismarck und Jules Favre ausgehandelter Waffenstillstand vereinbart, der ausdrücklich nicht für die Départements Doubs, Côte-d’Or und Jura gilt. Faktisch beginnt damit die französische Niederlage.
Februar 1871
Im Februar
Der Ku-Klux-Klan wird das erste Mal verboten.
Budapest entsteht durch den Zusammenschluss der Stadtteile Buda, Pest und Óbuda.
Beginn der Gründerjahre und die wirtschaftlichen Blütezeit in Deutschland und Österreich
16. Februar
Deutsch-Französischer Krieg - Nach 108 Tagen Belagerung wird die ostfranzösische Stadt Belfort den deutschen Truppen übergeben.
26. Februar
Der Vorfrieden von Versailles wird zwischen Otto von Bismarck für das Deutsche Reich und Adolphe Thiers für Frankreich geschlossen. Der Deutsch-Französische Krieg wird endgültig einige Wochen später im Friede von Frankfurt beendet.
März 1871
Im März
Bremen wird Bundesstaat des Deutschen Kaiserreiches.
In der Münchner Spaten-Brauerei wird versuchsweise eine Kältemaschine nach Carl von Lindes Ideen installiert. Die Vereinbarung dazu wird geschlossen (das Patent 1873 angemeldet).
13. März
Die Pontuskonferenz in London hebt die Neutralität und Entmilitarisierung des Schwarzen Meeres auf.
18. März
Erste sozialistische Revolution in Frankreich (Pariser Kommune)
21. März
In Berlin wird der erste deutsche Reichstag eröffnet. Kaiser Wilhelm I. thront dabei auf dem aus Goslar besorgten Kaiserstuhl Heinrichs III.
Otto von Bismarck wird zum Reichskanzler ernannt und in den Fürstenstand erhoben.
April 1871
Im April
Die erste deutsche Freiwillige Feuerwehr, das „Freiwillige Lösch- und Rettungs-Corps“ Meißen, wird gegründet.
Gründung der Hochschule für Kunst und Design Helsinki
11. April
Uraufführung der Oper Mirjam von August Klughardt in Weimar
James McNeill Whistler malt sein berühmtestes Werk, Whistler's Mother.
16. April
Die Bismarcksche Reichsverfassung wird als Gesetz verabschiedet und zur Rechtsgrundlage für das deutsche Kaiserreich.
20. April
Erste Fahrplankonferenz der deutschen Eisenbahnen.
Mai 1871
Im Mai
Das Unternehmen Schering AG wird in Berlin gegründet
10. Mai
Die Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland in Frankfurt am Main enden mit dem Frieden von Frankfurt.
15. Mai
Das Strafgesetzbuch wird im deutschen Kaiserreich verabschiedet.
21. Mai
Regierungstruppen dringen in die Pariser Innenstadt vor und brechen in der anschließenden "Blutwoche" die Herrschaft der Pariser Kommune.
In der Schweiz fährt mit der Vitznau-Rigi-Bahn die erste Zahnradbahn der Welt auf einen Berg.
28. Mai
Der 72 Tage anhaltende Aufstand des „Nationalkomitee der Nationalgarde“ und der mit ihr verbündeten Pariser Bevölkerung - der Pariser Kommune - der unter anderem durch die Ablehnung der Waffenstillstandsbedingungen nach dem Deutsch-Französischen Krieg begonnen hat, endet nach sechswöchigem Beschuss von Paris in der „Blutwoche“ vom 21. bis 28. Mai,
Juni 1871
Im Juni
Die Slade School of Art wird gegründet
Juli 1871
Im Juli
Gründung des Unternehmens Vesta-Nähmaschinen-Werke in Altenburg
12. Juli
Der französische Astronom Édouard Jean-Marie Stephan entdeckt die später als NGC 6240 bezeichnete irreguläre Galaxie im Sternbild Schlangenträger.
17. Juli
Zénobe Gramme führt in Paris eine Gramme-Maschine, einen dynamoelektrischen Motor mit kontinuierlicher Induktion, vor Wissenschaftlern vor.
30. Juli
Im Hafen von New York kommt es an Bord der Passagierfähre Westfield am Staten Island Ferry Terminal in Manhattan zu einer Kesselexplosion. 125 Menschen kommen beim schwersten Fährunglück im New Yorker Hafen ums Leben.
August 1871
29. August
Auflösung der Han in Japan, das Land wird von den Daimyō an den Tenno übertragen. Damit endet ist das Ende der Edo-Zeit besiegelt.
September 1871
17. September
Der Mont-Cenis-Tunnel wird eröffnet. Der Eisenbahntunnel sorgt für schnellere Verbindungen zwischen Paris und Rom und unterquert das Mont-Cenis-Massiv in den Westalpen.
Oktober 1871
Im Oktober
Veröffentlichung des Gedankenexperiments Maxwellscher Dämon
St. George Mivart veröffentlicht The Genesis of Species, in der er die von Charles Darwin in On the Origin of Species entwickelte Evolutionstheorie bestreitet.
5. Oktober
Gründung der Società degli Spettroscopisti Italiani (Italienische Spektroskopische Gesellschaft), der ersten wissenschaftlich-astrophysikalischen Vereinigung.
8. Oktober
Peshtigo im US-Bundesstaat Wisconsin wird mit mehreren umliegenden Dörfern ein Raub der Flammen. Der Waldbrand mit den meisten Todesopfern in der US-Geschichte fordert mindestens 1.200 Menschenleben und zerstört eine Fläche von etwa 6.000 km².
8. bis 10. Oktober
Beim großen Brand in Chicago brennt fast die ganze Stadt nieder.
November 1871
4. November
Die Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrtsgesellschaft wird von elf Handelshäusern gegründet.
7. November
Der französische Politiker Léon Gambetta gründet die Tageszeitung La République française.
11. November
Kaiser Wilhelm I. erläßt das Gesetz über das Bilden eines Reichskriegsschatzes aus den französischen Kontributionen, die der Friede von Frankfurt dem Verlierer des Deutsch-Französischen Kriegs abverlangt.
Dezember 1871
Im Dezember
Methodischer Wendepunkt in der noch jungen Wissenschaftsdiziplin Kunstgeschichte
der öffentlich ausgetragene Dresdner Holbeinstreit
Auf Mauritius wird von der britischen Verwaltung ein Einwanderungsstopp für Inder verhängt.